Treats - Augen auf und durch
Hongjung Park, New York
Elke Werneburg, Bielefeld
2.10.2015 19 Uhr
Leiden, Krankheit und Tod und damit verbundene existenzielle Fragen sind immer wieder Thema auch in der Kunst – doch gerade in jüngster Zeit gibt es dafür ein besonderes Interesse etwa für die Arbeiten und den Suizid des Autors und Malers Wolfgang Herrndorf (2013) und die Filme, Texte und Installationen von Christoph Schlingensief 2010). 2011 erhielt der posthum eingerichtete Pavillon mit Schlingensiefs Arbeiten auf der Biennale in Venedig den goldenen Löwen. In seinem sehr lesenswerten Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“ hat Schlingensief die Empfindungen und Einsichten während seiner Krebserkrankung protokolliert. Er versucht sich klar zu werden, wie er mit der Erkrankung umgehen will. Deutlich ist ihm, dass er nicht dem „wir haben es erlebt“ Klub beitreten will.
„Nein, der Punkt ist: Es gibt für mich etwas zu lernen und es gibt auch etwas daraus zu folgern. Es gibt die Aufgabe, Freiheit wahrzunehmen und sie neu zu definieren, es gibt wohl auch zu lernen, großzügiger zu sein…. Wenn ich wieder gesund werden sollte, will ich die Sache nicht einfach abhaken und verschreckt wegrennen… Das wäre Selbstbetrug, das wäre total verlogen. Genauso verlogen, wie sich hinterher mit einem Champagnerglas vor die Kameras zu stellen auf Promi zu machen und Geld zu sammeln für irgendeine Krebsstiftung“ Das findet er zwar nicht unbedingt verkehrt: „Ich glaube aber trotzdem, dass man mehr tun kann. Man kann versuchen die Verblödung, mit der Krankheit, Leiden, Sterben und Tod in unserer Gesellschaft diskutiert wird, wenigstens im Kleinen etwas aufzuhalten.“ (S.180)
In der Ausstellung heute hier in der akw wird genau dies versucht. Die beiden Künstlerinnen Elke Werneburg, Künstlerin und seit über 10 Jahren Initiatorin und Motor der auto-Kultur-werkstatt, und die koreanische Künstlerin Hong Jung Park, die in New York lebt, wollen dieser „Verblödung“ zwischen Horrorszenarien und Weglaufen etwas entgegensetzen. Statt der weit verbreiteten Haltung sich den medizinischen Verordnungen und Behandlungen zu fügen unter dem Motto „Augen zu und durch“ und danach möglichst so weiterzuleben, als ob nichts geschehen wäre, haben sie hier einen Parcour aufgebaut, mit dem sie Verschiebungen gängiger Perpektiven vornehmen und Betrachterinnen und Betrachtern andere, neue Sichtweisen öffnen.
Jede der beiden Künstlerinnen tut das zum einen für sich und gleichzeitig treten die Arbeiten in einen Dialog. Mit einem Dialog begann auch alles: Im Mai 2015 begegnete Elke Werneburg Hongjung Park in deren Ausstellung in Venedig, die parallel zur Kunstbiennale stattfand. Die beiden kamen ins Gespräch und stellten fest, dass für beide persönliche Erlebnisse zum Auslöser ihrer aktuellen Arbeiten geworden waren – Hong Jung thematisiert in ihren Installationen Kindheitserfahrungen bei häufigen Krankenhausaufenthalten und geistige und körperliche Heilung durch Heilmittel, vor allem durch Zuwendung; Elke Werneburg unternimmt eine dokumentarische Recherche zu ihrem Meditkamentenkonsum während eines Jahres nach einer lebensbedrohliche Erkrankung. Damit greift sie ein Thema wieder auf, das sie schon seit der Vorstellung ihrer Installation und Performance Liebesnester 2007 im sonntäglichen Salon von Louise Bourgeois in New York untergründig weiter beschäftig hat.
Spontan entstand bei der ersten Begegnung in Venedig bei Elke der Wunsch, die faszinierenden farbigen Installationen Hong Jungs in Bielefeld in der Treppenhausgalerie zusammen mit ihren eigenen Arbeiten auszustellen. Dass das tatsächlich gelungen ist, ist ein kleines Wunder und wäre ohne das Engagement der beiden Künstlerinnen und weitere Unterstützerinnen und Unterstützer nicht möglich gewesen. Allein der Transport und die Hängung der italienischen Infusionsflaschen aus Glas war eine große Herausforderung. Vielen Dank an alle, die die Ausstellung so, wie Sie sie heute sehen, ermöglicht haben.
Die beiden Künstlerinnen haben bei allen Unterschieden ähnliche künstlerische Strategien und Verfahrensweisen. Beide verwenden überwiegend „echte“ Materialien: Hong Jung gläserne Infusionsflaschen, Ampullen für Spritzen und Infusionsschläuche, die sie mit mit Naturfarben gefärbtem Wasser füllt; daneben zeigt sie gestickte Zeichnungen auf handgeschöpftem Papier (Please) und auf Tüll (Love); Elke hat alle Verpackungsmaterialien ihrer konventionellen Medikamente eines Jahres gesammelt, die Kartons zu der Werneburg aufgebaut, die Blisterverpackungen zu einem Vorhang (Blistergeflüster) und die Beipackzettel zu einem zweiten (Effekte in Kopf und Körper). Außerdem zeigt sie eine Untersuchungsanordnung für die einzelnen Pillen (Pillenexperimente: Pillen sind keine Lutschbonbons) - einen Tisch mit Glasröhrchen, die in unterschiedlichen Flüssigkeiten aufgelöst (Spucke, Kaffee, Rotwein, Tee, Ouzo) gepflanzt, veranschaulichen können, was im Körper vorgeht – er wird zum Experimentierfeld.
Sind auch das Thema Krankheit und Heilung und die künstlerische Strategie der Verwendung von echten Materialien beiden Künstlerinnen gemeinsam, so unterscheiden sich die beiden doch in der jeweiligen Perspektive darauf. Die Betrachterinnen und Betrachter sind aufgefordert, sich die unterschiedliche künstlerische Zugangsweisen und Auffassungen von Krankheit zu erschließen, die in den Materialien und der starken Vielfarbigkeit von Hong Jungs Installationen einerseits und dem Verpackungsmaterialien und der Dominanz von Schwarzweiß und Silber in Elkes Arbeiten andererseits visuell zum Ausdruck kommen. Während Elke Werneburg mutig ihren Medikamentenkonsum in Augenschein nimmt und ihre zunehmende Heilung, aber sich und uns auch erschreckt, durch die Masse der Pillen und deren mögliche Nebenwirkungen und Folgen, geht es Hongjung um das Sichtbarmachen der zwischenmenschlichen Verbindung und der Liebe und Zuwendung, die durch Krankheit möglich wird und die dazu führt, dass immer wieder ein neues Leben beginnt. Für sie werden „treats“ zum Symbol für Menschlichkeit. Und darin äußert sich, so meine ich, ein anderes Verständnis von Krankheit, das durch Hong Jungs buddhistische Orientierung geprägt ist - ein Perspektivwechsel weg von individuellen Erfahrungen des Leidens hin zu einem überindividuellen Verständnis, das das Leiden überwindet und in ein buntes kreatives Spiel überführt, in dem alle miteinander verbunden sind.
Die Ausstellung führt in ihrem Aufbau den in Venedig begonnenen Dialog fort und lässt daraus eine Passage entstehen. Schon der Titel „Treats – Augen auf und durch“ markiert einerseits die unterschiedlichen Ausgangspunkte und verknüpft sie zugleich miteinander. Mit Treats bezeichnet Hong Jung Park ihr gesamtes Projekt und Treats heißen auch die meisten ihrer Arbeiten. Sie erläutert die Bedeutung: The definition of the word “treat” in english language, is to try to heal, cure, or a sweet food. It is a perfect word to describe humanity.” Elke Werneburgs Arbeiten stehen unter der Überschrift “Augen auf und durch” und sie bezeichnet damit die Entscheidung des Individuums, bewußt wahrzunehmen, welche Medikamente sie zu sich genommen hat, wie sie wirken und diesen Weg mit Mut und Konsequenz zu gehen.
Noch kurz die Verschränkungen, die Sie hier sehen:
Im Hauptraum einerseits Die Werneburg, ein noch nicht vollendeter Bau mit Turm und Tor, aber auch noch hinfälligen oder wieder eingestürzten Bauteilen, daneben die große Arbeit Treats von Hong Jung die gläsernen Infusionsflaschen, in den sich die klaren, bunten Farben zeigen und damit zugleich Klarblick und die Schönheit und Vielfalt der Objekte und jedes Augenblicks. Das Dripping aus den Flaschen und die zarten bunten Bilder, die auf dem Stoff entstehen, erscheinen als Sinnbilder der Fülle, die durch Menschlichkeit entsteht.
Im Kontrast dazu die Arbeit Samsara, 300 Meter Infusionsschlauch, die sich wie zu Blüteblättern oder einem Nest zusammenfügen und durch die helles rotes und blaues Wasser fließt, endlos immer wieder, durch einen Motor angetrieben- sich mischend zu dunklerem Violett, ein Zeichen vielleicht dafür, dass wir alle uns immer wieder in demselben Hamsterrad bewegen und die Unterschiede zwischen den Menschen/Geschlechter dabei zunehmend verschwinden.
Im Treppenhaus dann der silberne Blister-Vorhang von Elke, der die Massen an Pillen erschreckend sichtbar macht. Wie ein mit Ornamenten geschmücktes Tor öffnet er uns den Blick in eine andere Welt – neun roten Stickzeichnungen Please von Hong Jung – ganz unterschiedliche Hände, immer mit einer Zigarette. Ein Verweis auf die Rauschmittel/Drogen, mit denen wir uns betäuben, ablenken, unsere Sicht auf die Wirklichkeit trüben.
Darauf folgt vor dem Fenster die große zarte Stickerei mit schwarzen und weißen Fäden auf schwarzen Tüll der Arbeit Love von Hong Jung – eine weibliche Gestalt, die Mutter, die ihr winziges schwaches Kind innig umschlungen hält, beschützt und sicher. Daneben Elkes Experimentierstation, in der es viele Farben, Flüssigkeiten etc zu entdecken gibt, sogar kleine Pflanzen.
Beim Durchschreiten des Beipackzettelvorhangs kann man sich vergegenwärtigen, wieviel Mut schon dazu gehört, das alles wirklich zu lesen und auch wirklich aufzunehmen - die Hilfe und Heilung ebenso wie die Gefahr. Und dazu das Tonband mit den unerwünschten Nebenwirkungen – ein Loop.
Und schließlich zwei gleich große Bilderrahmen (Treats 1, Treats 2) mit unterschiedlichen Medizinampullen, gefüllt links mit leuchtenderen farbigen Flüssigkeiten in kleineren Fläschchen und rechts gedämpfteren Farben in etwas größeren Fläschchen – statt gemalter Porträts eine Installation, mit der die Künstlerin „female and male“ anschaulich macht, Differenz und Ähnlichkeit der Geschlechter und deren Vielfalt.
In der Vitrine im Eingangsbereich finden Sie mehr zu Leben und Werk der beiden Künstlerinnen, darauf konnte ich nicht eingehen. Bemerkenswert die velen Ausstellungen von Hong Jung Park, die, in Korea an einer bedeutenden Kunsthochschule ausgebildet, seit Jahren an in Europa, Afrika, Asien als artist in residence gearbeitet und ausgestellt hat.
Dr. Irene Below, Kunsthistorikerin, Werther
Hongjung Park, New York
Elke Werneburg, Bielefeld
2.10.2015 19 Uhr
Leiden, Krankheit und Tod und damit verbundene existenzielle Fragen sind immer wieder Thema auch in der Kunst – doch gerade in jüngster Zeit gibt es dafür ein besonderes Interesse etwa für die Arbeiten und den Suizid des Autors und Malers Wolfgang Herrndorf (2013) und die Filme, Texte und Installationen von Christoph Schlingensief 2010). 2011 erhielt der posthum eingerichtete Pavillon mit Schlingensiefs Arbeiten auf der Biennale in Venedig den goldenen Löwen. In seinem sehr lesenswerten Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“ hat Schlingensief die Empfindungen und Einsichten während seiner Krebserkrankung protokolliert. Er versucht sich klar zu werden, wie er mit der Erkrankung umgehen will. Deutlich ist ihm, dass er nicht dem „wir haben es erlebt“ Klub beitreten will.
„Nein, der Punkt ist: Es gibt für mich etwas zu lernen und es gibt auch etwas daraus zu folgern. Es gibt die Aufgabe, Freiheit wahrzunehmen und sie neu zu definieren, es gibt wohl auch zu lernen, großzügiger zu sein…. Wenn ich wieder gesund werden sollte, will ich die Sache nicht einfach abhaken und verschreckt wegrennen… Das wäre Selbstbetrug, das wäre total verlogen. Genauso verlogen, wie sich hinterher mit einem Champagnerglas vor die Kameras zu stellen auf Promi zu machen und Geld zu sammeln für irgendeine Krebsstiftung“ Das findet er zwar nicht unbedingt verkehrt: „Ich glaube aber trotzdem, dass man mehr tun kann. Man kann versuchen die Verblödung, mit der Krankheit, Leiden, Sterben und Tod in unserer Gesellschaft diskutiert wird, wenigstens im Kleinen etwas aufzuhalten.“ (S.180)
In der Ausstellung heute hier in der akw wird genau dies versucht. Die beiden Künstlerinnen Elke Werneburg, Künstlerin und seit über 10 Jahren Initiatorin und Motor der auto-Kultur-werkstatt, und die koreanische Künstlerin Hong Jung Park, die in New York lebt, wollen dieser „Verblödung“ zwischen Horrorszenarien und Weglaufen etwas entgegensetzen. Statt der weit verbreiteten Haltung sich den medizinischen Verordnungen und Behandlungen zu fügen unter dem Motto „Augen zu und durch“ und danach möglichst so weiterzuleben, als ob nichts geschehen wäre, haben sie hier einen Parcour aufgebaut, mit dem sie Verschiebungen gängiger Perpektiven vornehmen und Betrachterinnen und Betrachtern andere, neue Sichtweisen öffnen.
Jede der beiden Künstlerinnen tut das zum einen für sich und gleichzeitig treten die Arbeiten in einen Dialog. Mit einem Dialog begann auch alles: Im Mai 2015 begegnete Elke Werneburg Hongjung Park in deren Ausstellung in Venedig, die parallel zur Kunstbiennale stattfand. Die beiden kamen ins Gespräch und stellten fest, dass für beide persönliche Erlebnisse zum Auslöser ihrer aktuellen Arbeiten geworden waren – Hong Jung thematisiert in ihren Installationen Kindheitserfahrungen bei häufigen Krankenhausaufenthalten und geistige und körperliche Heilung durch Heilmittel, vor allem durch Zuwendung; Elke Werneburg unternimmt eine dokumentarische Recherche zu ihrem Meditkamentenkonsum während eines Jahres nach einer lebensbedrohliche Erkrankung. Damit greift sie ein Thema wieder auf, das sie schon seit der Vorstellung ihrer Installation und Performance Liebesnester 2007 im sonntäglichen Salon von Louise Bourgeois in New York untergründig weiter beschäftig hat.
Spontan entstand bei der ersten Begegnung in Venedig bei Elke der Wunsch, die faszinierenden farbigen Installationen Hong Jungs in Bielefeld in der Treppenhausgalerie zusammen mit ihren eigenen Arbeiten auszustellen. Dass das tatsächlich gelungen ist, ist ein kleines Wunder und wäre ohne das Engagement der beiden Künstlerinnen und weitere Unterstützerinnen und Unterstützer nicht möglich gewesen. Allein der Transport und die Hängung der italienischen Infusionsflaschen aus Glas war eine große Herausforderung. Vielen Dank an alle, die die Ausstellung so, wie Sie sie heute sehen, ermöglicht haben.
Die beiden Künstlerinnen haben bei allen Unterschieden ähnliche künstlerische Strategien und Verfahrensweisen. Beide verwenden überwiegend „echte“ Materialien: Hong Jung gläserne Infusionsflaschen, Ampullen für Spritzen und Infusionsschläuche, die sie mit mit Naturfarben gefärbtem Wasser füllt; daneben zeigt sie gestickte Zeichnungen auf handgeschöpftem Papier (Please) und auf Tüll (Love); Elke hat alle Verpackungsmaterialien ihrer konventionellen Medikamente eines Jahres gesammelt, die Kartons zu der Werneburg aufgebaut, die Blisterverpackungen zu einem Vorhang (Blistergeflüster) und die Beipackzettel zu einem zweiten (Effekte in Kopf und Körper). Außerdem zeigt sie eine Untersuchungsanordnung für die einzelnen Pillen (Pillenexperimente: Pillen sind keine Lutschbonbons) - einen Tisch mit Glasröhrchen, die in unterschiedlichen Flüssigkeiten aufgelöst (Spucke, Kaffee, Rotwein, Tee, Ouzo) gepflanzt, veranschaulichen können, was im Körper vorgeht – er wird zum Experimentierfeld.
Sind auch das Thema Krankheit und Heilung und die künstlerische Strategie der Verwendung von echten Materialien beiden Künstlerinnen gemeinsam, so unterscheiden sich die beiden doch in der jeweiligen Perspektive darauf. Die Betrachterinnen und Betrachter sind aufgefordert, sich die unterschiedliche künstlerische Zugangsweisen und Auffassungen von Krankheit zu erschließen, die in den Materialien und der starken Vielfarbigkeit von Hong Jungs Installationen einerseits und dem Verpackungsmaterialien und der Dominanz von Schwarzweiß und Silber in Elkes Arbeiten andererseits visuell zum Ausdruck kommen. Während Elke Werneburg mutig ihren Medikamentenkonsum in Augenschein nimmt und ihre zunehmende Heilung, aber sich und uns auch erschreckt, durch die Masse der Pillen und deren mögliche Nebenwirkungen und Folgen, geht es Hongjung um das Sichtbarmachen der zwischenmenschlichen Verbindung und der Liebe und Zuwendung, die durch Krankheit möglich wird und die dazu führt, dass immer wieder ein neues Leben beginnt. Für sie werden „treats“ zum Symbol für Menschlichkeit. Und darin äußert sich, so meine ich, ein anderes Verständnis von Krankheit, das durch Hong Jungs buddhistische Orientierung geprägt ist - ein Perspektivwechsel weg von individuellen Erfahrungen des Leidens hin zu einem überindividuellen Verständnis, das das Leiden überwindet und in ein buntes kreatives Spiel überführt, in dem alle miteinander verbunden sind.
Die Ausstellung führt in ihrem Aufbau den in Venedig begonnenen Dialog fort und lässt daraus eine Passage entstehen. Schon der Titel „Treats – Augen auf und durch“ markiert einerseits die unterschiedlichen Ausgangspunkte und verknüpft sie zugleich miteinander. Mit Treats bezeichnet Hong Jung Park ihr gesamtes Projekt und Treats heißen auch die meisten ihrer Arbeiten. Sie erläutert die Bedeutung: The definition of the word “treat” in english language, is to try to heal, cure, or a sweet food. It is a perfect word to describe humanity.” Elke Werneburgs Arbeiten stehen unter der Überschrift “Augen auf und durch” und sie bezeichnet damit die Entscheidung des Individuums, bewußt wahrzunehmen, welche Medikamente sie zu sich genommen hat, wie sie wirken und diesen Weg mit Mut und Konsequenz zu gehen.
Noch kurz die Verschränkungen, die Sie hier sehen:
Im Hauptraum einerseits Die Werneburg, ein noch nicht vollendeter Bau mit Turm und Tor, aber auch noch hinfälligen oder wieder eingestürzten Bauteilen, daneben die große Arbeit Treats von Hong Jung die gläsernen Infusionsflaschen, in den sich die klaren, bunten Farben zeigen und damit zugleich Klarblick und die Schönheit und Vielfalt der Objekte und jedes Augenblicks. Das Dripping aus den Flaschen und die zarten bunten Bilder, die auf dem Stoff entstehen, erscheinen als Sinnbilder der Fülle, die durch Menschlichkeit entsteht.
Im Kontrast dazu die Arbeit Samsara, 300 Meter Infusionsschlauch, die sich wie zu Blüteblättern oder einem Nest zusammenfügen und durch die helles rotes und blaues Wasser fließt, endlos immer wieder, durch einen Motor angetrieben- sich mischend zu dunklerem Violett, ein Zeichen vielleicht dafür, dass wir alle uns immer wieder in demselben Hamsterrad bewegen und die Unterschiede zwischen den Menschen/Geschlechter dabei zunehmend verschwinden.
Im Treppenhaus dann der silberne Blister-Vorhang von Elke, der die Massen an Pillen erschreckend sichtbar macht. Wie ein mit Ornamenten geschmücktes Tor öffnet er uns den Blick in eine andere Welt – neun roten Stickzeichnungen Please von Hong Jung – ganz unterschiedliche Hände, immer mit einer Zigarette. Ein Verweis auf die Rauschmittel/Drogen, mit denen wir uns betäuben, ablenken, unsere Sicht auf die Wirklichkeit trüben.
Darauf folgt vor dem Fenster die große zarte Stickerei mit schwarzen und weißen Fäden auf schwarzen Tüll der Arbeit Love von Hong Jung – eine weibliche Gestalt, die Mutter, die ihr winziges schwaches Kind innig umschlungen hält, beschützt und sicher. Daneben Elkes Experimentierstation, in der es viele Farben, Flüssigkeiten etc zu entdecken gibt, sogar kleine Pflanzen.
Beim Durchschreiten des Beipackzettelvorhangs kann man sich vergegenwärtigen, wieviel Mut schon dazu gehört, das alles wirklich zu lesen und auch wirklich aufzunehmen - die Hilfe und Heilung ebenso wie die Gefahr. Und dazu das Tonband mit den unerwünschten Nebenwirkungen – ein Loop.
Und schließlich zwei gleich große Bilderrahmen (Treats 1, Treats 2) mit unterschiedlichen Medizinampullen, gefüllt links mit leuchtenderen farbigen Flüssigkeiten in kleineren Fläschchen und rechts gedämpfteren Farben in etwas größeren Fläschchen – statt gemalter Porträts eine Installation, mit der die Künstlerin „female and male“ anschaulich macht, Differenz und Ähnlichkeit der Geschlechter und deren Vielfalt.
In der Vitrine im Eingangsbereich finden Sie mehr zu Leben und Werk der beiden Künstlerinnen, darauf konnte ich nicht eingehen. Bemerkenswert die velen Ausstellungen von Hong Jung Park, die, in Korea an einer bedeutenden Kunsthochschule ausgebildet, seit Jahren an in Europa, Afrika, Asien als artist in residence gearbeitet und ausgestellt hat.
Dr. Irene Below, Kunsthistorikerin, Werther